T(r)iefsinn - Unsinn - Leichtsinn

Hier waltet, streunt, brütet, tanzt ... der Sinn. Hier treibt er sein Allotria. Hier wird ihm der Garaus gemacht. Die Szenerie, in die du geraten bist, bezieht ihr Licht aus einem Bereich, wo die grossen Geheimnisse des Lebens vor sich hinkichern.

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Lizentiat in Philosophie und Germanistik. - Beruf: Gymnasiallehrer. - Jetzige Tätigkeit: Teilzeitjobs und philosophische Beratung.

Freitag, Oktober 21, 2005

Rubrik: Sprachphilosophie

Gelangweilt lässt du dich von der im Blätterwald herrschenden Aufgeregtheit umspülen. Da! Ein Raunen wird vernehmbar. Es schleicht sich sanft in den Raum, wo deine spinnerte Eigentlichkeit an ihrem Webstuhl sinniert und werkelt:
Einübung ins Geschehen. Die Dinge sind in uns, und wir sind in den Dingen - über die koreanische Sprache. Von Hoo Nam Seelmann. (NZZ, 15.10.05)

Im Koreanischen, so nehmen wir zur Kenntnis, gibt es viele Verben, die sich nicht in das Schema 'Aktiv - Passiv' einordnen lassen. Wir überlesen die (durchaus interessanten) Ausführungen über die enorme philosophische Tragweite dieses Umstands. (Man kennt das ja: Humboldt, Sprache, Weltbild; Abendland versus Orient, Subjekt-Objekt-Spaltung versus Ganzheitlichkeit: Wenn du der Sache noch nicht überdrüssig bist, kannst du dir aus den gegebenen Elementen selber ein paar Sätze basteln. Ich bin einfach zu alt dazu.) Aber bei zwei Beispielen wollen wir etwas verweilen. (Verweilen: Du verweilst. Ich schreibe sie nur hin. Ich zerrede sie dir nicht.)

Koreanisch: "Das Vogelgezwitscher kommt zum Hören." - "Die Wärme deiner Hand sickert in den Leib ein."
Deutsch: "Ich höre den Vogel zwitschern." - "Ich spüre die Wärme deiner Hand."

Am Beginn dieses Blogs lässt sich ablesen, wie Philotustan nach längerem Verweilen bei diesen Beispielen sich im koreanischen Denken versucht hat:
Koreanisch: "Ich vernehme ein Raunen." - "Du lässt dich durch das im Blätterwald evozierte Geschehen umspülen."
Deutsch: "Du hörst ein Raunen." - "Du liest die Zeitung."

Hoo Nam Seelmann at her best: Zentral sind bei diesen Verben drei Aspekte: das Fehlen eines treibenden Akteurs, die Mühelosigkeit des gesamten Vorgangs und der Aspekt des Prozesshaften.

Das also ist das Koreanische Denken. Das ganz Andere. - Aber das kennen wir doch! Es rührt an etwas, das uns zutiefst vertraut ist, wenn wir uns nicht gerade wieder mal von der Rede über 'die Struktur des deutschen Satzes' und dergleichen haben gefangen nehmen lassen. (Ein Bild wurde uns gegeben. Und das hält uns nun gefangen.)

Es ist nun an der Zeit, dem Blog einen geeigneten Titel zu verpassen. Er soll die Erwartung wecken, dass hier endlich eine Frage beantwortet wird, die die Philosophen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur - wie Fragen der Semantik oder der Erkenntnistheorie etwa - bloss beschäftigt, sondern regelrecht umgetrieben hat:

Warum Heidegger sich so mühelos ins Koreanische übersetzen lässt


Der alte Hans Georg Gadamer berichtet über die Zeit, wo er an Seminaren von Martin Heidegger teilnahm (Ich erinnere hier eine der vielen Sternstunden, die ich vor der Glotze verbrachte): Vorne sitzt die Denkwurzel aus dem Schwarzwald und verlautbart Dinge wie "Es weltet." Gadamer wendet sich an den neben ihm sitzenden Hans Joachim Ritter. Der schaut ganz entgeistert drein. Dann vollführt er vor seinem Gesicht eine Handbewegung, die soviel besagen will wie: "Der hat sie nicht mehr alle. Scheibe." Gadamer aber ist begeistert: "Das war für mich ein [weit ausholende Bewegung] Weltaufgang!"

Für Leserinnen, die des Koreanischen nicht so mächtig sind, füge ich noch eine freie Übersetzung Heideggers ins Griechisch-Lateinisch-Deutsche an: "Erkennend greife ich auf die Dinge zu." Und wieder zurück ins Koreanische: "Zeug tritt von sich aus in die Erscheinung/Unverborgenheit." Und wieder Deutsch, doch diesmal in kritischer Absicht: "Wir rüsten uns die Dinge zu." (So tönt's aus dem schönsten Wiesengrunde.) Und wieder Koreanisch: "Unter unseresgleichen finden wir uns unter Zuhandenem vor. Das ist das Welten der Welt." Deutsch: "Ich versuche die Gegenstände zu begreifen. Dabei stelle ich mir zunächst zwei grundlegende Fragen: 1. Komme ich an die Gegenstände überhaupt heran? 2. Bin ich der einzige, der dergleichen versucht?" Und die Beantwortung/Verabschiedung der beiden Fragen in koreanischer Terminologie: "In-Sein, Mit-Sein". I love that stuff!

4 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hallo Philotustan,

auch diesen Artikel hier finde ich wie immer sehr gelungen und interessant. Er macht Appetit auf mehr, und ich würde gerne etwas Mehr über das Koreanische erfahren wollen. Letztes Jahr hatte ich ein sprachwissenschaftliches Buch über Japanisch im Zusammenhang mit Autismus gekauft und angefangen zu lesen. Es ging über die sprachtypologischen Auswirkungen auf die Denkweisen des Menschen. Also wird die Sprache nicht nur philosophisch, sondern auch unter empirischen und psychoanalytischen Aspekten beschrieben.
Im Japanischen - wenn ich mich daran noch recht erinnere - soll weder ich-Subjekt noch der du-Subjekt im Mittelpunkt des Gespräches stehen. Eher wird nebenbei übereinander und miteinander gesprochen. [Das erinnert mich an das Thema im TLO-Forum, worin der Fernseher im Alltag türkischer Familien angesprochen wird.]
Nicht das In-Sein oder das Mit-Sein, sondern das Nebenbei ist die Struktur des Japanischen, eventuell auch des Chinesischen.
Wenn ich das Buch in Duisburg wiedermal in die Hände kriege, und es zu Ende lesen kann, werde ich dir darüber schreiben.

Bis dahin ist es mein Wunsch, daß dein heiteres Treiben von Langlebigkeit ist. [Und, war das vielleicht Koreanisch-Lateinisch-Griechisch?]

Mit freundlichen Grüßen
Muhammed Kirik

August 10, 2006  
Blogger Philotustan said...

Hallo Muhammed

Mein Interesse am Türkischen war ursprünglich ein primär sprachphilosophisches. Ich wollte eine Sprache mit einer vom Deutschen möglichst weit entfernten Syntax lernen, um dann in ihr meine Denkweise zu wechseln. So in etwa habe ich das vor gut 30 Jahren formuliert. Und noch heute spitze ich meine Ohren, wenn ich, wie im hier erwähnten Artikel aus der NZZ, auf eine damit verwandte Idee stosse. So warte ich denn gespannt auf deine Ausführungen über das Japanische. Denn auch hier lächelt mir wieder so eine faszinierende Idee zu: die Möglichkeit für einen Egotisten, durch Einübung in die Ausdrucksweise des Japanischen einer wohltuenden Selbstvergessenheit anheimzufallen. Wahrscheinlich sind alle diese Ideen mehr oder weniger schlicht selbstwidersprüchlich. Aber faszinierend sind sie halt doch.

Ich danke dir für deinen Kommentar
:)
Alban

August 13, 2006  
Anonymous Anonym said...

Hallo Philotustan
Habe mit grosser Freude deine Post über Heidegger und korean. Sprache gelesen. Ich habe mir Sein und Zeit schon lange mal vorgenommen zu lesen mit dem Kommentar von Luckner.
Neulich bin ich auf das Buch von Martin Burger-Endliches Dasein gestossen, wo Heideggers Daseinanalyse und Becketts Roman Molloy behandelt werden.
Die typisch Heideggerschen Sätze sind praktisch unverständlich. Das plätschert so ab und nichts bleibt haften. So eine richtige Einschlaflektüre, wie die Sentenzen von Thomas von Aquin. Entweder ist Heidegger ein Scharlatan, ein Unsinn-Schmmierer, wie Schopenhauer sagen würde, oder einer der grössten Philosophen des 20 Jh., wie manche behaupten. Was ist deine Meinung?
divico1(at)yahoo.de

November 26, 2008  
Blogger Philotustan said...

Hallo divico1

Vorab meine bescheidene Meinung: Es gibt im 20. Jh. keinen grösseren Denker als Heidegger.

Nun, ich finde die 'Denkwurzel aus dem Schwarzwald', wie ich ihn gern nenne, halt ungemein anregend. (Wenn du in der Suchfunktion seinen Namen eingibst, kannst du dir ein Bild davon machen.) Aber ehrlich gesagt: 'Sein und Zeit' würde ich mir nicht mehr antun. Das kann schon quälend sein. Es gibt bei weitem lesbarere kleinere Arbeiten von ihm, 'Was heisst Denken?' beispielsweise. Ich persönlich kann dabei nicht einschlafen, bilde mir darauf aber nichts ein, sondern beneide dich vielmehr um deinen gesunden Schlaf.

Danke für deinen Kommentar

Philotustan

November 27, 2008  

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